Life is what you bake it – Jeder ist seines Glückes Bäcker
Nachdem der letzte Bäcker im Viertel beschlossen hat, seine Brezeln nicht mehr von Hand zu schlingen, gleichzeitig die Zutatenliste vieler Backwaren bald länger ist als die sich immer häufiger mit Industrieware füllenden Regale, erscheint mir ein sinnvolles Weiterleben nur noch unter drei Optionen möglich: Umziehen, in Depression verfallen oder selber backen. Mit der letzten versuche ich es hier.
Für das Backen einer ausreichend großen Zahl Brezeln ist ein Haushaltsbackofen zu klein und die Herstellung für meinen Geschmack zu aufwändig. Daher das Baguette. Vorbild ist das Baguette de tradition française meiner mütterlichen Vorfahren. Haben Sie schon einmal ein solches Baguette zum Frühstück gegessen? Nein? Dann wissen Sie nicht, was ein gutes Baguette ist. Schon ohne Belagsarbeit oder mit lediglich einem Hauch Butter oder Olivenöl entfaltet “une tradi” einen Reichtum an Aromen, die den meisten heute verkauften Baguettes völlig fremd sind.
Das Geheimnis der langen Gare und des hohen Wassergehaltes
Das Geheimnis des Geschmacks liegt zum einen in dem langen Herstellungsprozess ohne künstliche Backhilfen. Ein Vorteig (Pouliche oder Poolish) mit minimaler Hefezugabe führt dazu, dass die Hefe völlig in den Hintergrund tritt und Brotaromen die Führung übernehmen. Der Hauptteig erhält anschließend genügend Zeit, sich mindestens zwei Tage im Kühlschrank zu entfalten.
Charakteristisch für die Baguettekrume ist die grobe Porung. Bei vielen Gebäcken gilt diese als Fehler; hier ist sie gewollt. Ihr Geheimnis liegt in dem relativ hohen Wassergehalt des Teiges, unterstützt durch die besondere Art der Weiterverarbeitung. Der feuchte Teig erfordert eine schonende und gekonnte Behandlung. Bei der Formung der Baguettes darf die innere Teigstruktur nicht zerstört werden. Lediglich die äußere Teighaut wird bei der Bearbeitung zwischen den Gärzeiten gedehnt. Im ersten Schritt werden die Stücke zu Zylindern geformt. Im zweiten Schritt, der sogenannten façonnage, wird jedes Teigstück von jeder der längeren Seite nach innen gefaltet und anschließen vorsichtig in die Länge gerollt.
Prix de la meilleure baguette de tradition de Paris
Jährlich kürt die Stadt Paris und die Berufskammer das beste Baguette der Stadt. 55-65 Zentimeter lang und zwischen 250 und 300 g schwer dürfen die Baguettes sein, die für den Wettbewerb angeliefert werden. Der Salzgehalt darf 18 g pro kg Mehl nicht überschreiten. Die Presse veröffentlicht neben dem Gewinner die Top Ten Liste der besten Baguettes der Stadt. Außerdem darf der Gewinner ein Jahr lang den Élysée Palast mit seinen Baguettes beliefern.
Viele Rezepte sind auf diese Weise in den letzten Jahrzehnten zusammengekommen. Allen gemeinsam ist die lange Gare. Die Mengen variieren ebenso wie die Gärzeiten zwischen den Prozessen und die Temperaturen.
Zutaten
Außer Mehl, Wasser, Hefe und Salz sind keine weiteren Zutaten nötig, um ein perfektes Baguette zu backen. Traditionell wird in Frankreich zur Baguetteherstellung Weizenmehl des Ausmahlungsgrades T65 verwendet. Dieses Weizenmehl entspricht in etwa Mehl des Typs 550 in Deutschland. Weizen dieser Sorten enhält einen hohen Kleberanteil (Gluten). Eine Verarbeitung ist daher auch mit einem relativ hohen Wasseranteil möglich. Das Verhältnis von Wasser zum Mehl (Teigausbeute) ist daher hoch und reduziert den Wareneinsatz. Summiert man Mehl und Wasser und setzt beides ins Verhältnis zum Mehl erhält man die Teigausbeute in Prozent. Ein Mehlanteil von 1000g und ein Wasseranteil von 700g ergibt eine Teigausbeute von 170%.
Dinkelmehl ist eine Alternative zu Weizen, auf die ich für mein Rezept umgestiegen bin. Das Rezept habe ich entsprechend angepasst. Dinkelmehl enthält weniger Kleber. Die geringere Bindefähigkeit des Dinkelmehls erfordert eine Reduktion des Wasseranteils. Während Rezepte mit Weizenmehl eine Teigausbeute zwischen 170 und 172% vorschlagen, habe ich bei der Verwendung von Dinkelmehl mit einer Teigausbeute von 167% gute Erfahrungen gemacht . Der Wasseranteil beträgt in meinem Rezept 67% des Mehlanteils. Für alle, die noch wenig Erfahrung im Umgang mit einem hohen Wasseranteil im Teig besitzen, empfehle ich für den Anfang eine Reduktion des Wasseranteils auf 65% oder weniger.
Erlaubt ist für ein traditionelles französisches Baguette eine minimale Zugabe (max. 1%) von Bohnenmehl. Inwiefern Bohnenmehl den Geschmack beeinflusst, konnte ich bislang nicht testen. Es soll außerdem die Backfähigkeit verbessern und für mehr Volumen sorgen. An einer Stelle habe ich gelesen, dass Bohnenmehl im ersten Weltkrieg in einer Zeit der Mehlknappheit hinzugefügt wurde. Da es mir bislang nicht zur Verfügung stand, habe ich es bislang ignoriert.
Herstellung von acht Dinkelbaguettes mit einer Länge von 30 Zentimeter
Das Rezept ist geeignet für Baguettes, die in einem Haushaltsbackofen mit einer Backofentiefe von 30 cm hergestellt werden. Empfehlenswert ist ein Backstein sowie eine große flache Schale oder ein Backblech auf dem Backofenboden für die Erzeugung von Wasserdampf. Der Backofen sollte das Backen mit Ober- und Unterhitze bei 250+ °C ermöglichen.
Tag 1: Herstellung des Vorteigs
Zutaten
- 330 g Dinkelmehl Typ 630
- 330 g Wasser (Zimmertemperatur)
- 0,3 g frische Hefe
Prozess
- Wenn Sie keine Waage besitzen und trotzdem wissen wollen, wieviel 0,3 g Hefe ungefähr sind, halbieren Sie einen 42g Würfel, danach halbieren Sie wieder eine der beiden Hälften. Nach insgesamt sieben Teilungen wiegt die letzte Hälfte etwa 0,3g. Vom Volumen her entspricht dies ungefähr der Größe des Kopfes einer normalen Pinnwandnadel.
- Mischen Sie die Zutaten und lassen Sie den Vorteig 22 Stunden bei Zimmertemperatur in einer nicht völlig luftdicht zugedeckten Schüssel ruhen.
Tag 2: Herstellung des Hauptteiges
Zutaten
- Vorteig (siehe oben)
- 710 g Dinkelmehl Typ 630
- 364 g Wasser
- 7 g Hefe
- 21 g Salz (3TL)
- optional: 9 g Zucker (1,5 TL)
Prozess
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- Lassen Sie den Teig bei Zimmertemperatur 30 Minuten in der Teigschüssel abgedeckt ruhen.
- Falten Sie den Teig auf einem Backbrett 10 Minuten. Der Teig ist fertig, wenn Sie den Teig wie zu einem transparenten Fenster auseinanderziehen können. Die Kleberstruktur ist dann voll ausgebildet. Wenn Sie zu lange kneten, diese Gefahr besteht vor allem, wenn Sie das Kneten einer Maschine überlassen, wird die Kleberstruktur wieder zerstört. Der Teig reiß dann sehr schnelle wieder bevor ein transparentes zusammenhängendes “Fenster” entsteht.
- Lassen Sie den Teig eine Stunde ruhen. Falten Sie dabei jeweils nach einer halben Stunde den Teig mehrmals von der Seite in die Mitte.Stellen Sie den Teig in der Teigschüssel abgedeckt für 40-42 Stunden in den Kühlschrank. Falten Sie dabei den Teig einmal nach 24 Stunden mehrmals zur Mitte.
Tag 4: Backtag
Teig vorbereiten, Baguette formen, backen
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- Teilen Sie den Hauptteig in 8 Stücke und lassen Sie diese 40 Minuten auf Bäckerleinen abgedeckt an die Zimmertemperatur anpassen.
- Schalten Sie jetzt den Backofen ein. Stellen Sie den Temperaturregler auf 250 °C.
- Formen Sie die Teigstücke zu Zylindern und lassen Sie diese mit dem Teigschluss nach oben 20 Minuten gehen.
- Formen Sie die Baguette (Faconnage). Beginnen Sie an einem Ende des Zylinders und ziehen Sie mit dem Daumen und Zeigefinger den äußeren von ihnen abgewandten Teigrand in die Mitte des Zylinders. Fahren Sie der Länge nach damit fort. Der Vorgang sieht aus, als würden Sie eine Naht legen. Drehen Sie anschließend das Teigstück um 180 Grad und falten Sie jetzt die andere Seite von der äußeren von Ihnen abgewandte Seite der Länge nach nach innen. Im Dritten Schritt falten Sie erneut die äußere Seite über die Mitte hinaus bis fast zur inneren, Ihnen zugewandten Seite und drücken den Teig am unteren Rand fest. Üben Sie dabei keinen Druck auf die Mitte des Teigstückes aus. Formen Sie danach mit den hohlen Händen das Baguette der Länge nach bis zu einer Länge von 30 Zentimeter aus. (Siehe Video)
- Lassen Sie die Baguettes in Bäckerleinen 30 Minuten mit dem Teigschluss nach oben gehen (Stückgare).
- Legen Sie eine Backfolie auf den Brotschieber.
- Kippen Sie vier Baguettes mit der Kippdiele auf die Backfolie. Der Teigschluss liegt nun unten.
- Schneiden Sie die Baguettes mit schrägen Parallelschnitten ein. Der zweite und jeder weitere Schnitt sollte zirka auf der Höhe des letzten Drittels des vorhergehenden Schnittes ansetzen und schräg (ca. 30 Grad) in den Teig einschneiden.
- Schieben Sie die Baguettes in den Backofen auf den Backstein. Die Gesamtbackdauer beträgt 18 bis 20 Minuten.
- Schütten Sie mit Schwung den Inhalt einer mit kaltem Wasser gefüllten Tasse in die Schale auf dem Backofenboden. Vorsicht Verbrennungsgefahr! Es entsteht schlagartig eine große Menge Wasserdampf. Achten Sie darauf, dass vor allem Ihr Gesicht nicht direkt mit dem Dampf in Berührung kommt.
- Schalten Sie den Backofen auf 240 °C herunter.
- Öffnen Sie den Backofen nach der Backzeit (18 bis 20 Minuten) und ziehen Sie die Backfolie mit den Baguettes auf den Brotschieber und mit diesem auf ein Gitter zum Auskühlen. Wenn Sie die Backfolie mit einem flachen Gegenstand, zum Beispiel einem Messer, an einer Ecke anheben, können Sie diese mit den Fingern etwas nach oben ziehen und den Brotschieber unter die Folie schieben.
- Schalten Sie den Backofen wieder auf 250 °C hoch.
- Wiederholen Sie den Vorgang mit weiteren 4 Baguettes.
- Teilen Sie den Hauptteig in 8 Stücke und lassen Sie diese 40 Minuten auf Bäckerleinen abgedeckt an die Zimmertemperatur anpassen.
Klingt gut und werde ich sicher bald mal machen. Aber warum 42 geteilt durch 7 dann 0,3 ergibt, erschließt sich mir nicht (und den Hefewürfel in 140 Teile zu zerbröseln, ist auch nicht sinnvoll, oder?) 😉
Ich habe geschrieben, den Würfel siebenmal teilen und nicht “durch Sieben teilen”. Offensichtlich ist das missverständlich formuliert. Ich habe die Formulierung verbessert.
Gemeint ist, sieben mal halbieren und zwar nach jeder Teilung nur eine der übrig gebliebenen Hälften. Sie teilen nach jedem Teilungsvorgang eine Hälfte weiter, nicht alle. Daher müssen Sie das Messer nur 7 Mal ansetzen erhalten auch nicht 140 Teilstücke sondern genau 14. Die letzten beiden wiegen ca. 0.3g.
Sie teilen 42g/2=21g/2=10,5g/2=5,25g/2=2,6g/2=1,3g/2=0,65g/2=0,3. Das sind sieben Teilungsvorgänge.
Siebenmal halbiert ergibt also 0,3g. Es geht ja im Prinzip auch nur darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel 0,3g sind. Wenn man das einmal gemacht hat, reicht es, wenn man sich merkt, wie sich 0,3g Hefe anfühlt. Dann kann man das nächste Mal das so ungefähr einschätzen. Auf etwas mehr oder weniger kommt es nicht an, außer man will selbst experimentieren und eine neue Empfehlung entwickeln.
Prima! Wieder zeigt sich: wer lesen kann, ist klar im Vorteil 😉
hallo hannes, das finde ich super. man muss ja nicht alles einfach so hin nehmen. sieht uebrigens auch sehr lecker aus. jetzt noch ein schoenes stueck kaese und ein glaeschen rotwein und dann ist der abend gerettet. ich glaub ich muß mich zum probieren mal einladen. bringe dann noch ein vergleichsexemplar aus frankreich mit. gruß christian